Und Journalisten sind doch lernfähig: Inge Kloepfer und die Privatschulen

Ein einfaches “Vorher-Nachher-Design” zeigt: Journalisten sind lernfähig. Und Journalistinnen auch. Ganz konkret scheint Frau Inge Kloepfer verstanden zu haben, dass Privatschulen den Schüler/innen nicht notwendigerweise mehr beibringen.

Was vor noch nicht allzu langer Zeit aus Kloepfers Feder einmal so klang:

Ganz falsch liegen die Eltern mit ihrer Kompetenzvermutung nicht. Helmut Klein vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft gibt ihnen weitgehend recht: “In der Hälfte der Bundesländer bringen Privatschulen im Verhältnis zu ihrer Schülerzahl mehr als doppelt so viel Abiturienten hervor wie staatliche Gymnasien und Gesamtschulen.”

Klingt heute erfrischend anders:

Die Flucht des Bildungsbürgertums vor den öffentlichen Schulen hat Folgen, die nicht nur die DIW-Forscher mit Sorge beobachten. Sie verschärft jene Selektion der Kinder und Jugendlichen aufgrund ihrer sozialen Herkunft, die schon im öffentlichen Schulsystem an der Tagesordnung ist. Dabei ist gar nicht erwiesen, dass Kinder an Privatschulen bessere Leistungen erzielen. Vergleicht man die Schülerleistungen dort mit denen der Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern an öffentlichen Schulen, gibt es keine Unterschiede.

Obwohl dieser letzte Satz so wohl nicht stimmen wird — die absoluten Ergebnisse (messbare Kompetenzen etc.) werden auf Privatschulen sicher (deutlich) besser sein, nur hätten diese Kinder auf staatlichen Schulen kaum weniger gelernt — bleibt festzuhalten, dass Kloepfers Artikel in der FAZ ein alles in allem guter und kluger Artikel ist. Kloepfer beschreibt sehr gut die Selbstselektion bestimmter Eltern — und damit Schüler — auf die Privatschulen. Auch bemerkt Kloepfer die soziale Entmischung, die so forciert wird. Der kausale (Durchschnitts-)Effekt dieser Entmischung — auch als Effekt auf bestimmte Subgruppen (etwa: wechselnde vs bleibende Schüler) — ist dann die spannende und gesellschaftspolitisch relevante Größe. Ich bin auf diesem Gebiet kein Experte. Mich beschleicht allerdings das Gefühl, dass es hier noch einiges zu forschen gibt. Oder nicht, Herr Wößmann?

FR-Interview mit Ludger Wößmann: “Wir sind Wissenschaftler, nicht Politiker”

Man muss Ludger Wößman, Professor an der LMU und Mitarbeiter am CES und am ifo Institut in München sowie am Nationalen Bildungspanel (NEPS), dankbar sein. Für seine klaren und ehrlichen Worte. Dafür, dass er sich traut, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse auch auszusprechen. Und dafür, dass er sich dabei eher wenig um die soziale (resp. politische Erwünschtheit) seiner Aussagen schert. Im Folgenden lesen Sie die schönsten Zitate aus einem Interview mit der Frankfurter Rundschau vom 12.11.2009 — das vollständige Interview gibt es hier.

FR: [Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium, dem Sie angehören,] fordert eine von Grund auf bessere Qualifikation der Kinder und Jugendlichen. Abi für alle?

Wößmann: Das ist natürlich illusorisch. Aber es gibt einen engen Zusammenhang zwischen dem individuellen Bildungsgrad und dem Erfolg am Arbeitsmarkt. Darum wäre mit Blick auf die Einkommensverteilung sehr viel erreicht, wenn im Schulsystem niemand mehr durchs Raster fällt. Da ist viel zu tun, wenn man bedenkt, dass heute sieben Prozent eines Jahrgangs ohne Schulabschluss, 15 Prozent ohne Berufsabschluss bleiben. Kein Jugendlicher mehr ohne Schul- und Berufsabschluss – das kann man doch als Ziel begreifen!

Aber ein Problem, das Sie im Gutachten ja auch benennen, ist doch, dass es immer noch vor allem die Kinder aus gutem Hause sind, die das Abitur machen…

Dabei gibt es viele Begabte aus bildungsfernen Schichten, die kein Abitur machen, obwohl sie das Potenzial hätten. Ziel muss sein, dass jedes Kind die Chance hat, sein volles Potenzial auszuschöpfen. Das gelingt uns leider nicht.

Der Beirat will dieses Problem auf eine Art lösen, die ihm kaum den Beifall der Konservativen einbringen wird.

Mag sein — aber wir sind Wissenschaftler, nicht Politiker. Die Mehrheit hat sich explizit dafür ausgesprochen, Kinder länger gemeinsam lernen zu lassen. Also nicht so früh — nach der vierten Klasse — auf verschiedene Schularten aufzuteilen. Mit diesem System stehen wir international ohnehin fast allein. Und es gibt zahlreiche wissenschaftliche Belege dafür, dass diese frühe Aufteilung es mit begünstigt, wenn sozial Schwache kaum höhere Bildungsabschlüsse erreichen.

Was muss der Staat tun, damit am Ende die Rendite stimmt?

Besonders groß ist die Rendite, wenn schon in Kindergarten und Grundschule angesetzt wird. Der Staat muss seine Bildungsinvestitionen anders verteilen als bisher. Was er bisher macht, ist quasi eine Umverteilung von unten nach oben. Die Kosten pro Schüler und Schuljahr sind in Hauptschule und Gymnasium zwar in etwa gleich, aber jemand, der studiert, bleibt ja viel länger im Bildungssystem als ein Hauptschüler, und seine Ausbildung kostet am Ende fast doppelt so viel Geld. Es gilt also, vor allem den sozial und ökonomisch schwächeren Schichten zu helfen, eine Qualifikation zu erreichen, die sie von den Leistungen des Sozialstaats unabhängig macht.

Sogar Privatschulen sind — mit der ökonomischen Brille betrachtet — gut für die bisherigen Bildungsverlierer. Warum?

Es geht um die private Trägerschaft. Die Niederlande machen das vor: Wenn öffentliche wie private Schulen vom Staat finanziert werden, fördert das den Wettbewerb um die besten Ideen. Das verbessert das Leistungsniveau des gesamten Systems. Davon profitieren vor allem die Kinder, die bisher keine Wahl zwischen privat und öffentlich haben. Das belegen Studien.

Strukturpolitische Fragen und Bildungsforschung

Zu grundsätzlichen strukturpolitischen Fragen, etwa der Empfehlung eines bestimmten Schulsystems, kann die Bildungsforschung keine Handlungsanweisungen geben

sagt Eckhard Klieme vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt. Und irrt.

Was die Wissenschaft — und damit auch die Bildungsforschung — nicht beantworten kann sind Wertfragen. Die Bildungsforschung kann also nicht sagen, dass ein gerechtes Bildungssystem wünschenswerter ist, als ein ungerechtes. Das ist Aufgabe der Politik. Die Bildungsforschung kann aber ermitteln, welche Faktoren dazu beitragen, ein Bildungssystem gerechter zu machen. Und wenn bei solchen Analysen herauskommt, dass ein Bildungssystem gerechter wird, wenn man die Selektion der Schüler auf verschiedene Schulformen statt mit 10 z.B. mit 14 Jahren durchführen lässt, ist das eben ein Ergebnis, das ganz offensichtlich ein Strukturmerkmal eines Bildungssystems betrifft. Wenn dann den Politikern auch noch bekannt ist/wäre, dass ein längeres gemeinsames Lernen den intelligenten bzw. leistungsstarken Schülern nicht schaden muss, könnten diese ja — aufgrund ihrer Werthaltungen — diese wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzen und das Bildungssystem entsprechend anpassen.

Die Presse zum (angekündigten) Start des NEPS

Das Presseecho auf die Ankündigung des NEPS des war nicht so berauschend — das NEPS stand (zu Unrecht) im Schatten des Bildungsgipfels: 5800 Hits in der Google News Suche für “Bildungsgipfel”, nur 28 für “Nationales Bildungspanel”.

Ein Interview mit Hans-Peter Blossfeld gab es im Deutschlandfunk. Es ist auf dradio.de nachzulesen und nachzuhören. Im Tagesspeiegel erschien ein etwas längerer Artikel.

WZBrief Bildung

Das WZB gibt ab sofort in unregelmäßigen Abständen einen Rundbrief zum Thema Bildung heraus. Dazu liest man auf der Website des WZB:

Der „WZBrief Bildung“ informiert aktuell, kompakt und verständlich über ein Thema aus der Bildungsforschung. Er erscheint mehrmals im Jahr in elektronischer Form.

Er richtet sich in erster Linie an Experten und interessierte Laien in Politik, Schulen, Verbänden und Medien. Autoren des „WZBrief Bildung“ sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am WZB, die zu Fragen von Bildung und Ausbildung im Lebensverlauf und den Übergängen zwischen Bildungsinstitutionen und Arbeitsmarkt forschen, insbesondere aus der Abteilung > „Ausbildung und Arbeitsmarkt“ sowie der Projektgruppe > „Education and Transitions into the Labour Market“

Mal sehen, was er bringt, der neue WZBrief.

Pressekonferenz Nationales Bildungspanel

Für kommenden Montag (20.10.08) von 11:00 Uhr bis 13:00 Uhr ist eine Pressekonferenz angekündigt (Link zum idw), auf der das Nationale Bildungspanel (National Education Panel Survey, kurz: NEPS) vorgestellt werden wird. Ob die Pressekonferenz im Fernsehen (oder Radio) übertragen wird, kann ich noch nicht absehen. Auf Phoenix läuft von 11:00 Uhr bis 13:30 Uhr die Sendung “vor Ort”. Im Rahmen dieses Sendeformats wäre eine Übertragung denkbar — die Website von Phoenix nennt die Pressekonferenz allerdings nicht. Ich habe bereits per E-Mail angefragt.

Schullaufbahnempfehlungen: Lotto wäre fair(er)

Christoph Titz und Jochen Leffers, die Autoren des Artikels “SKANDALÖSES SCHÜLER-LOTTO — Lehrer lassen arme Kinder zu selten ans Gymnasium” scheinen das Prinzip des Lottos, also das Prinzip des Zufalls nicht ganz verstanden zu haben. Der Zufall würde die Kinder — mit Sicherheit (!) — nicht nach Herkunft verschiedenen Schulformen zuordnen. Wer mir nicht glaubt, führe folgendes Experiment durch: 1. Nehmen Sie einen Würfel. 2. Vergeben Sie je 2 Augenzahlen je Schulform — z.B. 1 und 2 für “Hauptschule”, 3 und 4 für “Realschule”, 5 und 6 für “Gymnasium”. 3. Würfeln Sie für alle Kinder jeder Schicht (teilen Sie in so viele Schichten ein, wie Sie möchten) sagen wir 300mal. 4. Berechnen Sie die prozentuale Aufteilung der Kinder jeder Schicht auf die Schulformen. 5. Ergebnis: Aus allen Schichten gehen 1/3 der Kinder auf jede Schulform.

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Rassismus?

Nachdem man — speziell “hannes1066” — im ZEIT-Forum nicht nur meinen ersten Kommentar nicht richtig verstanden zu haben schien, sondern mir auch noch Rassismus vorwarf (ein User mit Nickname “QUOTE”), musste ich dann doch noch mal ran. Bitte sehr — hier sind die beiden Kommentare, einer nach dem anderen:

Zitaten und Bemerkungen sind die Benutzernamen vorangestellt, Hyperlinks verlinken zu Kommentaren und/oder Dokumenten.

hans1066 schreibt: “Ich sage: Das Bildungsangebot in Deutschland ist im internationalen Vergleich immer noch sehr gut. Gehen Sie mal nach Mexiko oder auch nur in die Ukraine.”

sewenz: Sie haben offensichtlich niedrige Ansprüche. Aber das ist eine politisch-normative Position — mit anderen Worten: Wenn Sie das deutsche Bildungssystem, so wie es ist (und mit all den Ergebnissen die es produziert und die hier im ZEIT Forum und anderswo immer wieder diskutiert werden), für gut befinden, kann ich Ihnen das (mit wissenschaftlichen Methoden) nicht streitig machen.

hans1066 schreibt weiter: “Wer heute nicht auf ein Gymnasium oder eine Uni geht, der will es bewusst nicht oder es fehlen ihm die noetigen Faehigkeiten, schlicht und einfach.”

sewenz: Dazu Zweierlei: (a) Das mit dem Bewusstsein bzw. der bewussten Entscheidung für oder gegen Schulformen (und natürlich bewussten Entscheidungen überhaupt!) ist eine sehr grundlegende Frage. Ich persönlich glaube auch, dass bei Entscheidungen, die von Menschen als wichtig wahrgenommen werden, überwiegend bewusste Kalkulationen stattfinden bevor Entscheidungen getroffen werden. Die Frage ist: Was geschieht bei einer solchen “bewussten Kalkulation” und (ganz wichtig) wie unterscheiden sich verschiedene Gesellschaftsschichten systematisch in diesen Kalkulationen? Haben Eltern unterschiedlicher Schichten (oder auch Immigrantengruppen) in einem Land das gleiche Wissen über das Bildungssystem? (Siehe dazu z.B hier einen aktuellen Artikel [bzw. den Abstract] von C. Kristen.) Können unterschiedliche Schichten/Gruppen in gleicher Weise für die Kosten hoher/höherer Bildung aufkommen? Trauen Eltern unterschiedlicher Schichten/Gruppen ihren Kindern — bei gleichen Fähigkeiten der Kinder (!) — auch in gleichem Maße zu, einen höheren Bildungsgang erfolgreich zu absolvieren? Nur, wenn Sie annehmen, dass alle diese (und viele weitere) Parameter zwischen den Schichten/Gruppen gleich verteilt sind, können Sie argumentieren, dass die “bewusste Entscheidung” auch eine Entscheidung zu gleichen Bedingungen ist. Ansonsten eben nicht (was übrigens die Ergebnisse mehr oder weniger aller Studien im Bereich der Entscheidungs- und Bildungsforschung sind). Dass Sie, hans1066, die Folgen (nämlich, dass Kinder unterer Schichten trotz gleicher Leistung eher auf die unteren Bildungsgänge gehen) dennoch akzeptabel finden, kann natürlich sein. Das steht Ihnen frei — es ist eine (politisch-normative) Meinung. Nicht wenige KommentatorInnen hier dürften anderer Meinung sein.

(b) Zu den nötigen Fähigkeiten: Leider sind Sie nicht weiter inhaltlich auf meinen Beitrag und die dort im oberen Drittel und ganz am Ende formulierten Fragen eingegangen. Zum Zusammenhang von Fähigkeiten fallen mir noch die Ergebnisse von (z.B.) IGLU(-E) ein (klicken sie hier für eine Zusammenfassung von IGLU 2006 (pdf)). Dort wurden/werden ja nicht nur Kinder mit gleichen Noten, sondern auch Kinder mit gleichen Testergebnissen vergleichen (Tests, die von einigen Forschern in die Nähe von Intelligenztests gerückt werden — unser guter rijukan hat übrigens in vielen Posts eine ähnliche Meinung vertreten.) Wenn Sie sich die Ergebnisse (S. 19, Tabellen 6 und 7) anschauen, werden sie feststellen, dass selbst bei gleichen IGLU-Testergebnissen die Kinder aus oberen Schichten/Klassen viel eher eine Gymnasialpräferenz der LehrerInnen erhalten. Zu guter Letzt sei noch bemerkt, dass es Hinweise auf eine ungleichheitsreduzierende Wirkung der Schullaufbahnempfehlungen der LehrerInnen gibt: Ließe man die Eltern entscheiden, wäre die Lücke zwischen unteren und oberen Schichten/Klassen noch größer! Also: Es kommt immer auf die Perspektive an — die spannende Frage ist: Könnte man die Ungleichheit, die durch die LehrerInnen erzeugt wird/würde noch weiter reduzieren? Sollte man im Wesentlichen Noten entscheiden lassen (wie es ja in einigen Bundesländern der Fall ist)? Einen Leistungstest? Zu einem späteren Zeitpunkt? (Besonders auf die ungleichheitsreduzierende Wirkung von zentralen Leistungstests und späteren Selektionen gibt es Hinweise.) Und viele viele Dinge (auch: pädagogisch-psychologische) mehr…

Und hier der zweite — der mit dem Rassismus.

QUOTE wirft mir in Post 55 Rassismus vor.

Dazu — mal wieder — zweierlei: QUOTE, lesen Sie zum Einen bitte (vielleicht noch einmal?) meinen ersten Kommentar, dann den obigen Post (#134) und weitere meiner Beiträge. Finden Sie wirklich, dass ich rassistisch argumentiere? Zum Anderen: Ich poste hier nach bestem (wissenschaftlichem) Wissen und Gewissen, wozu auch gehört, dass Intelligenz zu einem gewissen Grad wohl genetische/biologische Grundlagen hat. Darüber ist sich eine Mehrheit seriöser Wissenschaftler einig. Es scheint ebenfalls so zu sein, als wäre diese Intelligenz zwischen unterschiedlichen sozialen Schichten/Gruppen ungleich verteilt. Die (weiterhin ungeklärten) Fragen sind (u.a.): Wie hoch ist der Grad der genetisch/biologischen Determination? Macht es überhaupt Sinn von einer Determination zu sprechen? Wie geht das Wechselspiel aus Genetik/Biologie (Nature) und Umwelt (Nurture) genau von statten? Wo kommen diese Befunde also her, dass schon in sehr jungem Alter Kinder aus unterschiedlichen Schichten/Gruppen unterschiedliche Intelligenzniveaus aufweisen? Das sind hochspannende Fragen, mit deren Beantwortung man gerade erst begonnen hat. Sie haben nichts mit Rassismus zu tun, sondern helfen diese Welt zu verstehen — z.B. um sie (mit diesem Wissen!) zu einem besseren Ort für alle Menschen zu machen! (Beachten Sie bitte, dass ich keinesfalls behaupte, in der Wissenschaft gebe es keinen Rassismus — selbstverständlich gibt es das auch unter Wissenschaftlern.)

100%ige Korrelationen im ZEIT Online Forum

Wie bitte? Ja, leider gibt es immer wieder Menschen, die, obwohl Sie von einem Gegenstand nun wirklich überhaupt keine Ahnung (zu) haben (scheinen) munter drauf los kommentieren — z.B. hier im ZEIT Online Forum. Der Kampf gegen die Dummheit hat — wie wir wissen — gerade erst begonnen. Hier ist ein weiteres Zeugnis meines kleinen und bescheidenen Beitrags:

Zitaten von “hans1066” wird der Benutzername vorangestellt, meinen Bemerkungen ebenfalls (also: “sewenz“).

hans 1066 schreibt: “Gebildete und damit uberproportional auch wohlhabende(re) Eltern geben dem Kind einfach schon unbewusst in den ersten 5 Lebensjahren mehr an Neugier, Ehrgeiz, Interesse und anderen Sozial-“skills” mit als anderen Eltern. Von der genetischen Disposition (pfui, pfui!!) ganz zu schweigen. Das ist SO!! Da hilft kein Gerede.”

sewenz: Was Sie mit dem “Gerede” meinen, ist mir nicht ganz klar; der Artikel jedenfalls widerspricht Ihrer Aussage (erst einmal) nicht — es geht letzten Endes ja um etwas Anderes. Wie auch immer: Es ist mit Sicherheit so, dass Kinder aus “bildungsfern(er)en” Familien (oder Familien unterer Schichten — nennen Sie es, wie Sie möchten) im Schnitt eine schlechtere genetische/biologische und sozioökonomische sowie kulturelle Ausstattung mitbringen bzw. mit geringerer Wahrscheinlichkeit auf eine sehr gute Ausstattung diesbezüglich zurückgreifen können (verglichen mit Kindern  “bildungsnaher” Familien). Die entscheidende Frage ist (und genau darauf wurde schon in einigen Kommentaren eingegangen), ob Sie mit den aufgezählten Skills bzw. Fähigkeiten und/oder auch Ressourcen erklären können, dass bei gleichen Noten Lehrerinnen und Lehrer Kinder aus unterschiedlichen Schichten mit (sehr) unterschiedlich großer Wahrscheinlichkeit für verschiedene Schulformen empfehlen. Sie müssten also argumentieren, dass die von Ihnen aufgezählten Eigenschaften sich nicht nur in den Noten niederschlagen (diese wurden ja konstant gehalten), sondern zusätzlich eine Wirkung auf die LehrerInnen und deren Empfehlungen haben. Also: Obwohl zwei Kinder die gleichen Noten haben, nimmt der Lehrer eine höhere Neugier und/oder ein größeres Interesse an schulischen Belangen bei dem Kind der “bildungsnahen” Familie war. Ist das Ihr Vorschlag? Nun, er mag nicht falsch sein. Und ich glaube sogar, dass dies ein Teil der Überlegung eines Lehrers ist, der vor der hier diskutierten Entscheidung steht. (Und damit Teil des Mechanismus, der zu dem berichteten Befund führt.) Dass Sie sich das genau so gedacht haben, kann ich mir — bei allem Respekt — nur schwer vorstellen.

hans 1066 schreibt: “Das hat PISA ja nun ganz eindeutig gezeigt und zwar weltweit. Der schulische Erfolg korreliert zu fast 100% mit der Anzahl der Buecher im elterlichen Haushalt!”

sewenz: Ich weiß nicht, auf welche (wissenschaftliche) Publikation bzw. auf welche (seriösen) Berechnungen Sie sich beziehen. Ich vermute: auf keine. Denn erstens gibt man (lineare) Korrelationen i.d.R. auf einer Skala von -1 bis 1 an, wobei 0 “kein (linearer) Zusammenhang” und -/+1 “perfekt negativer/positiver (linearer) Zusammenhang” bedeutet. In Prozent kann dann die sogenannte “aufgeklärte Varianz” ausgedrückt werden. Zweitens macht mich stutzig, dass ich diesen unsinnigen Satz hier im ZEIT-Forum schon einmal gelesen und auch beantwortet habe. Sie haben doch nicht etwa bei rijukan abgeschrieben? Drittens ist die Korrelation von der Sie sprechen viel geringer (wenn man, was redlich ist, Individualdaten benutzt — keine wie auch immer aggregierten Daten). Auf die Schnelle habe ich nur Folgendes gefunden (ich habe tatsächlich zur Zeit keinen PISA Datensatz greifbar mit dem ich das rechnen könnte — ich hoffe Sie geben sich damit zufrieden): PISA 2006 Tabellen (Excel Datei). Aus Tabelle 4.9b entnehme ich: Die Korrelation des “Index of cultural possessions at home” (schließt u.a. klassische Literatur ein) und der naturwissenschaftlichen Kompetenz in PISA 2006 beträgt in Deutschland 0.266, in Kanada 0.192 und in Frankreich 0.382. Der OECD Durchschnitt liegt bei 0.270. Alles weit entfernt von 1. Aber ich will diese Korrelationen nicht herunterspielen — im Gegenteil: sie sind in ihrer Höhe/Stärke bemerkenswert. (In der Tabelle befindet sich tatsächlich nur die aufgeklärte Varianz. Die liegt in den zitierten Fällen bei 7.1, 3.7, 14.6 und 7.3 — die Quadratwurzel ergibt die bivariaten Korrelationen. Viertens (und ganz wichtig): Was lernen Sie denn aus einer Korrelation wie dieser? Ich sage Ihnen an dieser Stelle nur, was Sie nicht lernen: Sie lernen nichts über die wirklich interessanten Fragen in Bezug auf den Artikel, den wir hier kommentieren.

Diese interessanten Fragen sind aus meiner Sicht solche, die nach den Ursachen und/oder Mechanismen für die Entscheidung der LehrerInnen fragen. Was bringt einen Lehrer dazu, Kindern trotz gleicher Noten unterschiedliche Bildungswege zu empfehlen? Könnte man diesen Effekt (wenn man das denn politisch will) reduzieren, oder gar ganz abstellen? Würden die Kinder, die nach dem Verschwinden des Effekts auch auf das Gymnasium gingen (also die aus den bildungsfernen Schichten mit den guten Noten), dort auch “überleben”? Und und und…