Nachdem man — speziell “hannes1066” — im ZEIT-Forum nicht nur meinen ersten Kommentar nicht richtig verstanden zu haben schien, sondern mir auch noch Rassismus vorwarf (ein User mit Nickname “QUOTE”), musste ich dann doch noch mal ran. Bitte sehr — hier sind die beiden Kommentare, einer nach dem anderen:
Zitaten und Bemerkungen sind die Benutzernamen vorangestellt, Hyperlinks verlinken zu Kommentaren und/oder Dokumenten.
hans1066 schreibt: “Ich sage: Das Bildungsangebot in Deutschland ist im internationalen Vergleich immer noch sehr gut. Gehen Sie mal nach Mexiko oder auch nur in die Ukraine.”
sewenz: Sie haben offensichtlich niedrige Ansprüche. Aber das ist eine politisch-normative Position — mit anderen Worten: Wenn Sie das deutsche Bildungssystem, so wie es ist (und mit all den Ergebnissen die es produziert und die hier im ZEIT Forum und anderswo immer wieder diskutiert werden), für gut befinden, kann ich Ihnen das (mit wissenschaftlichen Methoden) nicht streitig machen.
hans1066 schreibt weiter: “Wer heute nicht auf ein Gymnasium oder eine Uni geht, der will es bewusst nicht oder es fehlen ihm die noetigen Faehigkeiten, schlicht und einfach.”
sewenz: Dazu Zweierlei: (a) Das mit dem Bewusstsein bzw. der bewussten Entscheidung für oder gegen Schulformen (und natürlich bewussten Entscheidungen überhaupt!) ist eine sehr grundlegende Frage. Ich persönlich glaube auch, dass bei Entscheidungen, die von Menschen als wichtig wahrgenommen werden, überwiegend bewusste Kalkulationen stattfinden bevor Entscheidungen getroffen werden. Die Frage ist: Was geschieht bei einer solchen “bewussten Kalkulation” und (ganz wichtig) wie unterscheiden sich verschiedene Gesellschaftsschichten systematisch in diesen Kalkulationen? Haben Eltern unterschiedlicher Schichten (oder auch Immigrantengruppen) in einem Land das gleiche Wissen über das Bildungssystem? (Siehe dazu z.B hier einen aktuellen Artikel [bzw. den Abstract] von C. Kristen.) Können unterschiedliche Schichten/Gruppen in gleicher Weise für die Kosten hoher/höherer Bildung aufkommen? Trauen Eltern unterschiedlicher Schichten/Gruppen ihren Kindern — bei gleichen Fähigkeiten der Kinder (!) — auch in gleichem Maße zu, einen höheren Bildungsgang erfolgreich zu absolvieren? Nur, wenn Sie annehmen, dass alle diese (und viele weitere) Parameter zwischen den Schichten/Gruppen gleich verteilt sind, können Sie argumentieren, dass die “bewusste Entscheidung” auch eine Entscheidung zu gleichen Bedingungen ist. Ansonsten eben nicht (was übrigens die Ergebnisse mehr oder weniger aller Studien im Bereich der Entscheidungs- und Bildungsforschung sind). Dass Sie, hans1066, die Folgen (nämlich, dass Kinder unterer Schichten trotz gleicher Leistung eher auf die unteren Bildungsgänge gehen) dennoch akzeptabel finden, kann natürlich sein. Das steht Ihnen frei — es ist eine (politisch-normative) Meinung. Nicht wenige KommentatorInnen hier dürften anderer Meinung sein.
(b) Zu den nötigen Fähigkeiten: Leider sind Sie nicht weiter inhaltlich auf meinen Beitrag und die dort im oberen Drittel und ganz am Ende formulierten Fragen eingegangen. Zum Zusammenhang von Fähigkeiten fallen mir noch die Ergebnisse von (z.B.) IGLU(-E) ein (klicken sie hier für eine Zusammenfassung von IGLU 2006 (pdf)). Dort wurden/werden ja nicht nur Kinder mit gleichen Noten, sondern auch Kinder mit gleichen Testergebnissen vergleichen (Tests, die von einigen Forschern in die Nähe von Intelligenztests gerückt werden — unser guter rijukan hat übrigens in vielen Posts eine ähnliche Meinung vertreten.) Wenn Sie sich die Ergebnisse (S. 19, Tabellen 6 und 7) anschauen, werden sie feststellen, dass selbst bei gleichen IGLU-Testergebnissen die Kinder aus oberen Schichten/Klassen viel eher eine Gymnasialpräferenz der LehrerInnen erhalten. Zu guter Letzt sei noch bemerkt, dass es Hinweise auf eine ungleichheitsreduzierende Wirkung der Schullaufbahnempfehlungen der LehrerInnen gibt: Ließe man die Eltern entscheiden, wäre die Lücke zwischen unteren und oberen Schichten/Klassen noch größer! Also: Es kommt immer auf die Perspektive an — die spannende Frage ist: Könnte man die Ungleichheit, die durch die LehrerInnen erzeugt wird/würde noch weiter reduzieren? Sollte man im Wesentlichen Noten entscheiden lassen (wie es ja in einigen Bundesländern der Fall ist)? Einen Leistungstest? Zu einem späteren Zeitpunkt? (Besonders auf die ungleichheitsreduzierende Wirkung von zentralen Leistungstests und späteren Selektionen gibt es Hinweise.) Und viele viele Dinge (auch: pädagogisch-psychologische) mehr…
Und hier der zweite — der mit dem Rassismus.
QUOTE wirft mir in Post 55 Rassismus vor.
Dazu — mal wieder — zweierlei: QUOTE, lesen Sie zum Einen bitte (vielleicht noch einmal?) meinen ersten Kommentar, dann den obigen Post (#134) und weitere meiner Beiträge. Finden Sie wirklich, dass ich rassistisch argumentiere? Zum Anderen: Ich poste hier nach bestem (wissenschaftlichem) Wissen und Gewissen, wozu auch gehört, dass Intelligenz zu einem gewissen Grad wohl genetische/biologische Grundlagen hat. Darüber ist sich eine Mehrheit seriöser Wissenschaftler einig. Es scheint ebenfalls so zu sein, als wäre diese Intelligenz zwischen unterschiedlichen sozialen Schichten/Gruppen ungleich verteilt. Die (weiterhin ungeklärten) Fragen sind (u.a.): Wie hoch ist der Grad der genetisch/biologischen Determination? Macht es überhaupt Sinn von einer Determination zu sprechen? Wie geht das Wechselspiel aus Genetik/Biologie (Nature) und Umwelt (Nurture) genau von statten? Wo kommen diese Befunde also her, dass schon in sehr jungem Alter Kinder aus unterschiedlichen Schichten/Gruppen unterschiedliche Intelligenzniveaus aufweisen? Das sind hochspannende Fragen, mit deren Beantwortung man gerade erst begonnen hat. Sie haben nichts mit Rassismus zu tun, sondern helfen diese Welt zu verstehen — z.B. um sie (mit diesem Wissen!) zu einem besseren Ort für alle Menschen zu machen! (Beachten Sie bitte, dass ich keinesfalls behaupte, in der Wissenschaft gebe es keinen Rassismus — selbstverständlich gibt es das auch unter Wissenschaftlern.)